Kriegsflüchtlinge und Geldpolitik

Hier die Überalterung einer Gesellschaft und Stagnation, dort die Not von Hunderttausenden Asylsuchenden. Wie die europäische Zentralbank beide Probleme zugleich lösen könnte.
von Helge Peukert

Geschätzt 20 Millionen potenzielle Flüchtlinge gibt es zurzeit in der Nachbarschaft Europas. Der (Stellvertreter-)Krieg in Syrien nimmt an Härte zu. Millionen von Flüchtlingen harren schon in Flüchtlingslagern vor allem in Jordanien und in Libanon aus. Selbst die westlichen Länder erfüllen ihre angesichts der Aufgaben unzulänglichen Zahlungsversprechen an dort tätige Hilfsorganisationen, z. B. den UNHCR, höchst unvollkommen, sodass die Menschen dort sogar auf erbärmlichstem Niveau kaum weiterleben können. Millionen sind auf dem Weg nach Europa oder dort schon angekommen, während man in Europa einmal mehr katastrophale Uneinigkeit und nationalen Egoismus beweist. Deutschland bot zunächst eine löbliche Ausnahme, kann aber sicher nicht als dauerhaftes Notventil dienen.

Zur gleichen Zeit wachsen die Zweifel an der europäischen Geldpolitik, unter anderem an Ankäufen von Staatsanleihen (Quantitative Easing), die nicht die Preissteigerungsrate im Euro-Raum erhöhen, aber nach Befürchtungen vieler Ökonomen zu einer langsam gefährlich anschwellenden Blase der Vermögenswerte führen. In geldpolitischen Fachkreisen bis hin zu den Notenbankern wird angesichts der nach wie vor rezessiven Tendenzen in Euro-Land über noch unkonventionellere Maßnahmen der Geldpolitik bis hin zu erzwungenen Negativzinsen über ein Bargeldverbot nachgedacht. Ein überlegenswerter Vorschlag besteht im Abwurf von „Helikoptergeld“ nach Milton Friedman, also das direkte kostenlose Ausgeben von Geld an Bürger oder Staaten ohne Einbezug des Bankensystems.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingsströmen und einer eventuellen neuen Geldpolitik der EZB? Was könnte getan werden?

Klar ist: Es bedürfte vieler Milliarden, um in den Flüchtlingscamps halbwegs menschliche Zustände zu schaffen. Es bedürfte weiterer Milliarden, um die in Europa Gestrandeten unterzubringen und zwecks Integration schnell, vor allem auch in sprachlicher Hinsicht zu bilden. Der bisher unterschätzte Finanzbedarf dürfte nach überschlägiger Rechnung alleine in Deutschland über längere Zeit jährlich nicht im hohen einstelligen, sondern im nicht unerheblichen zweistelligen Milliardenbereich liegen. Wenn man hier nicht finanziell „in die Vollen“ geht, wird es ein Desaster mit Schaffung eines neuen
Immigrantenprekariats geben.

Doch woher soll das Geld kommen, um diese Aufgaben in ganz Europa zu bewältigen, wenn die Aufnahmekapazität Deutschlands langsam erreicht ist? Schließlich streben die europäischen Staatsschulden trotz allerlei Sparmaßnahmen auf immer neue Höchststände zu. Eine Einigung auf europäischer Ebene, bei der die EU-Länder aus den jeweiligen eigenen Haushalten Zahlungen tätigen müssten, ist zurzeit illusorisch.

Und dann haben wir auch noch eine Geldordnung, die die Geldschöpfung vor allem durch private Banken vorsieht, die ihrerseits nur dann Geld aus dem Nichts schaffen, wenn sie Tilgung und Zinsen erhalten.

Hier daher unser Vorschlag:

In der wohl größten Herausforderung des Jahrzehnts sollte die EZB die benötigten Mittel als einmalige Ausnahme zur Verfügung stellen, und zwar zins- und tilgungsfrei, das heißt kostenlos.

Bereits kurzfristig würden die Flüchtlinge einkaufen und so die Wirtschaft stützen

Für jeden Flüchtling könnte die EZB dem aufnehmenden Staat eine bestimmte Summe auf dessen Zentralbankkonto gutschreiben und darüber hinaus für einen gewissen Zeitraum bestimmte Summen pro Jahr
bereitstellen. Dadurch könnte es auch zu einem gewissen innereuropäischen „Wettbewerb“ um die Flüchtlinge kommen. Mit einem solchen Zuckerbrot sollte es leichter fallen, einen europäischen Verteilungsschlüssel zu beschließen. Bereits kurzfristig würden die Flüchtlinge kaufkräftige Nachfrage entwickeln, den demografischen Wandel – der in fast allen europäischen Ländern vor sich geht – abfedern und als gebildete Zuwanderer nicht zuletzt in einigen europäischen Krisenländern die Abwanderung eigener gebildeter Jugendlicher nach der Finanzkrise zumindest teilweise ausgleichen.

Die Helfer in den Flüchtlingscamps und die benötigten Sachgüter und Lebensmittel sollten möglichst aus den europäischen Krisenländern stammen, um deren Wirtschaftskrise zu lindern. Es muss sichergestellt werden, dass die hier vorgeschlagene EZB-Sonderfinanzierung die Flüchtlingsströme nicht unbegrenzt anschwellen lässt. Eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen in den Lagern nahe der Konfliktgebiete kann dazu einen nicht unerheblichen Beitrag leisten.

In den Einwanderungsländern bedürfte es eines staatlichen Sektors als Beschäftiger der letzten Instanz für die Neubürger. Auch für weniger Qualifizierte gibt es eigentlich genug Arbeit. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass solche Arbeitsplätze nicht dem eigentlichen Arbeitsmarkt verloren gehen.

Werden nicht bald ausreichende Finanzmittel für preisgünstigen Wohnungsbau gefunden und eingesetzt, dürften schon sehr bald mit den Flüchtlingen um bezahlbare Wohnungen konkurrierende Mitbürger am unteren Ende der Einkommenspyramide ins äußerst rechte Lager abdriften.

Durch die vorgeschlagene direkte EZB-Finanzierung sind angesichts der Rezession in vielen Euro-Ländern und der deflationären Tendenzen keine wesentlichen Preissteigerungen zu erwarten. Eine geringfügige Inflationssteigerung käme den europäischen Geldpolitikern sogar gerade recht.

Um einem solchen Programm zum Erfolg zu verhelfen, bedarf es einer guten Verwaltung (good governance) und intelligenter Institutionen, um zu verhindern, dass durch Korruption und Schlendrian die Gelder veruntreut werden oder Technokraten des Finanzsektors über die Vergabe entscheiden. Große Transparenz und der Einbezug engagierter zivilgesellschaftlicher Organisationen sind erforderlich. Hier sollen die Sozialwissenschaften mit konstruktiven Vorschlägen aufwarten.

Nur wer wagt, gewinnt! Bisher war die EZB vor allem die Bank der Banken, die durch allerlei höchst unkonventionelle Maßnahmen gerettet wurden. Jetzt geht es um einen mindestens ebenso wichtigen Rettungsschirm für die Flüchtlinge und die Aufnahmeländer. Die oft zu Recht kritisierte EZB könnte Profil gewinnen für ein sozialinnovatives Europa, das der lethargischen Weltgesellschaft ein Leitbild böte.

Man könnte sogar weiter überlegen, kostenlos gegebenes EZB-Geld nicht nur für die Flüchtlinge und die sie Auffangenden einzusetzen, sondern diese Mittelvergabe auf eine größere Zahl von Bürgern, wenn nicht sogar auf alle (Stichwort Helikopter-Geld) auszuweiten, auch um möglichst wenig Neidkomplexe aufkommen zu lassen.

seht auch: „EZB könnte Schuldenkrise beenden“

Adair Turner, einst oberster Aufseher über den Finanzmarkt in Großbritannien, ist der neue Leiter des „Institute for New Economic Thinking“. Gegenüber DW erläutert er, wie die Krise in der Eurozone beendet werden könnte.

Ein Kommentar

  1. Daniel Stelter zu diesem Artikel: „Also, keine Helikopter für die Flüchtlinge als Transportmittel, sondern Fresh Money für die Bankrotteure der Welt. Super.“ siehe

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