Das neue Facebook-Geld

Vor mittlerweile ein paar Jahren wurden Fintech Start-Ups als die Zukunft der Finanzindustrie aufgebauscht. Sie würden die Banken überflüssig machen. Alles ist jetzt neu, alles digital, es braucht die alten Banken nicht mehr. Außerdem gibt es ja den Bitcoin als neue staatenunabhängige und intermediärfreie Währung.

Dass viele traditionelle Banken, gerade auch im „Technologieland“ Deutschland, in den letzten 20 Jahren ein ineffizientes, nur an kurzfristigen Kosten orientiertes IT-Management betrieben und Fintechs in technischer Hinsicht leichtes Spiel hatten – geschenkt. Dennoch verschwanden die meisten Fintechs wieder, andere wurden von Banken übernommen und nur ein paar wenige wie N26 wuchsen auf eine erfolgversprechende Größe, beantragten dann aber selbst eine Banklizenz. Der Bitcoin sorgt zwar nach wie vor für Schlagzeilen, aber es wird immer klarer, dass er niemals die Währungen auch nur halbwegs funktionsfähiger Staaten ersetzen kann. Nachdem nun also der erste Nebel um den Hype sich gelegt hat, erscheint nun plötzlich doch noch ein Projekt am neuen digitalen Horizont, das in der Tat einen Unterschied machen könnte: Der Libra – Facebooks ambitioniertes Währungsprojekt.

Im Gegensatz zu den bisherigen Fintechs ist das PROJEKT groß gedacht und „bodenständig“ zugleich. Es gibt nicht vor, die Banken oder Zentralbanken überflüssig zu machen und Intermediäre abzuschaffen. Im Gegenteil: Es kommt zwar technisch und organisatorisch schlagkräftig daher, verkauft sich aber gezielt nicht als ultimative Alternative zu bisherigen Finanzmarktakteuren. Doch gerade deswegen muss man und frau dieses Projekt ernster nehmen als alle Fintechs und dezentralen Kryptowährungen zusammen. Die Designer des Projektes geben sich keinen Illusionen hin, denken in globalen Kategorien und haben zuvor die Fehler und Unzulänglichkeiten der Fintechs und Kryptowährungen systematisch ausgewertet. Das Projekt ist groß, professionell, hinreichend kapitalisiert und spürbar machtorientiert.

Was zeichnet das Projekt aus?

Im Gegensatz zum Bitcoin, der keine Deckung durch Sach- oder Finanzvermögen aufweist, faktisch nicht für den normalen Zahlungsverkehr geeignet ist und nur von dem Vertrauen der „Investoren“ lebt, dass sie in Zukunft zum richtigen Zeitpunkt schon Käufer finden, die bereit sind die Bitcoins ihnen wieder abzukaufen, um selbst nur darauf zu wetten, dass es wieder „Investoren“ gibt, die diese aufkaufen …, soll die Facebook-Währung für den normalen Zahlungsverkehr geeignet und zugleich durch Assets gedeckt werden. Doch die geplante Deckung erfolgt bezeichnender Weise nicht, wie etwa bei PayPal, in erster Linie durch Zahlungsverkehrskonten bei (Groß-)banken, sondern durch Aktiva, die in der Regel auch Zentralbanken halten: Staatsanleihen und vergleichbare international geldmarktfähige Papiere. Mittels dieser Deckung soll auch die Bindung an einen festen Währungskorb erfolgen. Die genaue Zusammensetzung des Referenzwährungskorbes ist noch unklar, aber dieser dürfte weitgehend vom US-Dollar dominiert werden. Daher weisen allein die bisherigen Vorstellungen zur Deckung des Facebook-Geldes in eine eindeutige Richtung: Den Aufbau einer globalen, plattformbasierten, aber letztlich privaten weltweiten Währung, die faktisch nur noch weitgehend dem US-Dollar und seiner Geldpolitik untergeordnet bleibt.

Wenn also jetzt das Thema der Facebook-Währung vor allem unter dem Aspekt Datenkrake und des Datenschutzes problematisiert wird, greift dies zu kurz. Fraglos ist der Daten-Aspekt zentral und über Georg Orwells naive Vorstellungen hierzu können die Verantwortlichen hinter dem Projekt vermutlich nur noch schmunzeln.(1) Doch das Projekt geht eben einen Schritt weiter: Obwohl die Facebook-Währungsmacher zunächst als Zahlungsverkehrsdienstleister und somit als Nicht-Bank antreten, ist das Projekt dazu geeignet sich langfristig in der Geld- und Währungshierarchie vor die Banken schieben.(2) Denn sonst ergäbe es keinen Sinn, dem Design eines potentiellen digitalen Zentralbankgeldes möglichst nahe zu kommen. Und auch wenn die bisherigen Ankündigungen hier enden, ist dennoch klar, dass das Projekt anschlussfähig wäre, für andere Akteure, die Bank- und Kapitalmarktfunktionen für dieses private Plattformgeld wahrnehmen wollen. Der Weg über die Generierung von Einlagen, die Vergabe von Krediten bis hin zur Emission von in Facebook-Geld denominierten Wertpapieren und Derivaten ist zwar weit, aber eben doch schon klar in der Grundstruktur mit angelegt. Und bei Facebook gibt es mit der geplanten Libra-Einlage, dem Anschlussprojekt Calibra schon konkrete weitere Planungen.

Wie reagieren nun Politik und Zentralbanken auf diese Pläne?

Erstaunlicherweise hat das Projekt sofort die Aufmerksamkeit der Zentralbanken und Finanzministerien auf sich gezogen. Die Verlautbarungen nach draußen sind kritisch. Es ist zu spüren, dass nicht nur das ESZB, d.h. die EZB sowie die angeschlossenen nationalen Zentralbanken, hier überrumpelt wurde. Und nicht nur Mitarbeiter der EZB versuchen unter Druck (und mit entsprechenden Überstunden), das Projekt in allen seinen Konsequenzen zu verstehen und im Detail zu analysieren. Es ist klar, dass die Zentralbanken und Finanzpolitik reagieren muss, doch in welcher Form – dazu gibt es allein aus Zeitgründen noch keine Entscheidungen. Und noch erstaunlicher ist, dass selbst in den USA das Projekt massive Kritik und Widerstand hervorgerufen hat – wenn auch vielleicht aus dem zweifelhaften Grund, dass es die eingespielte Aufgabenteilung zwischen Staat und Finanzwesen dort ebenfalls in Frage stellen könnte. Immerhin ist klar, dass das Projekt international sehr ernst genommen wird. Zugleich ist jedoch zu befürchten, dass z.B. in Europa trotz diverser Verbotsforderungen die Politik und das ESZB sich nicht trauen werden, sich für ein generelles Verbot des Projektes zu entscheiden oder als Alternative ein eigenes digitales (anonymes) EURO-Zentralbankgeld für Nicht-Banken zu emittieren. Die Gefahr ist daher groß, dass der Widerstand nur in einer – vermutlich wieder hunderte von Artikeln und Paragraphen umfassenden – Regulierung endet. Doch genau dies wäre die denkbar schlechteste Reaktion: Zum einen würde die Regulierung dem Facebook-Geld Legitimität und Rechtssicherheit verleihen, andererseits ist Finanzmarktregulierung eben kein geeignetes Instrument, um grundsätzliche Herausforderungen in der Geld- und Währungshierarchie adressieren und korrigieren zu können. Regulierung kann Auswüchse verhindern und im besten Fall Standards durchsetzen. Dies kann für eine einzelne Bank sehr viel und sehr schmerzhaft sein. Aber Finanzmarkt- und Bankenregulierung reicht z.B. nicht aus, um das Finanzsystem vor makroökonomische Risiken zu schützen oder eben den intrinsischen Charakter eines solchen Projektes zu verändern.

Was wäre eine angemessene Reaktion von Europa und der EZB?

Wie erwähnt, müsste Europa sich dazu durchringen, das Projekt zu verbieten – oder, im Zusammenspiel mit entsprechenden Auflagen, eine Alternative zu schaffen, die dem Facebook-Geld eine ökonomische Antwort entgegensetzt. Und diese Alternative kann nur ein digitales (anonymes) Zentralbankgeld sein, dass auch vom ESZB entwickelt werden müsste. Schließlich hat das ESZB schon bei Target2 und Target2Securities (T2S) gezeigt, dass nur das europäische System der Zentralbanken in der Lage ist, ein solches IT-Großprojekte auch umzusetzen, während die privaten (europäischen) Finanzmarktakteure hierzu offensichtlich nicht bereit oder in der Lage waren.

Selbst wenn ESZB Mitglieder wie die Bundesbank digitales Zentralbankgeld bisher abgelehnt haben, da dies zu einem Rückgang der Einlagen bei den Banken und somit einer von der EZB aufzufüllenden Finanzierungslücke bei den Banken führt, müsste unter dem Einfluss des Facebook-Projektes digitales Zentralbankgeld neu bewertet werden. Denn auch das Facebook-Geld führt zu einem entsprechendem Rückgang der Bankeinlagen. Auch darf – obgleich dieser Sicht des Verlustes von Bankeinlagen durch ein digitales Zentralbankgeld zuzustimmen ist – dieser Verlust nicht überbewertet werden. Denn schon seit dem 2. Weltkrieg ist es in den Industriestaaten üblich, dass die Zentralbanken mittels neuem Zentralbankgeld die ökonomisch äquivalenten und zum Teil recht hohen Bargeldabflüsse systematisch (und quasi vollautomatisch) wieder aufgefüllen. Und es wurde weder von der Bundesbank noch sonst einem Mitglied des ESZB thematisiert, dass die chronischen (Netto-)Bargeldabflüsse zu stoppen wären. Wenn digitales Zentralbankgeld zusätzlich in Höhe des Einlagensatzes mit negativen Zinsen belegt würde, dürfte sich auch der Abfluss der Bankeinlagen zum Zwecke der Hortung in Grenzen halten.

Auch für die Facebook-Währung gilt übrigens, dass sie in dem Maße, wie sie mit Euros hinterlegt ist, Negativzinsen berechnen müsste. Allerdings ist es ein Trugschluss zu glauben, dass die Belastung des Facebook-Geldes oder eines digitales Zentralbankgeldes mit Negativzinsen die Attraktivität für Zahlungsverkehrszwecke schwächen würde. Denn die Attraktivität eines Geldes für Zahlungsverkehrszwecke hängt nicht nur von den Wünschen der Geldhalterin bzw. des „Geldhorters“ ab, sondern muss sich in gleichem Maße an den ökonomischen Kalkülen der Waren- und Leistungsverkäuferinnen orientieren. Diese akzeptieren lieber ein Geld mit geringer, aber prognostizierbarer Verfallsrate, als überhaupt keinen Umsatz zu generieren.(3)

Kann das Facebook-Geld auch ohne ESZB Gegenreaktionen scheitern?

Ja, das ist dennoch möglich. Es gibt einen Aspekt, an dem das PROJEKT nicht vorbei kommt und die Akzeptanz bei Zahlungsempfängern untergraben kann: Steuern und andere staatliche Abgaben fallen in nationalen Währungen an und sind in nationalen Währungen zu bezahlen. Durch einen Währungskorb wäre das Facebook-Geld Schwankungen zu den nationalen Währungen unterworfen, die die Annahme von Facebook-Geld unattraktiv machen könnten, da diese Schwankungen zum Teil sehr erratisch und wenig prognostizierbar verlaufen. Somit müsste immer der steuerrelevante Teil von Einnahmen sofort in Euro bzw. die nationale Währung getauscht oder anderweitig gehedged werden, was einen nicht zu vernachlässigen Nachteil darstellt. Dennoch: Die EZB und die Politik sollten sich nicht darauf verlassen, dass das Projekt ohne ihr Zutun scheitert. Facebook wird auf jeden Fall auf die Frage der Pflichtzahlungen in nationalen Währungen technische Antworten entwickeln, die diesen Nachteil so gering wie möglich halten.

Oder kann das Projekt doch noch auf ein Zahlungsdienstleister, sozusagen ein PayPal 2.0, begrenzt werden?

Ja, auch das ist möglich und das ist zur Zeit auch die Hauptrichtung, in die die bisherigen Regulierungsvorschläge seitens der Finanzministerien und Zentralbanken zielen. Mit “Know Your Custromer” (eindeutige Kunden- und Handlungsmotividentifizierung von Kunden), Geldwäscheüberwachung, Identifizierung von Terrorfinanzierung und Einhaltung von (US-) Sanktionsgesetzen sollen Regeln, denen normalerweise nur Banken unterliegen, nun auch auf diese Art von Zahlungsdienstleister angewendt werden. Die Hoffung dahinter ist, dass durch diese Art von Regulierung das Projekt nicht über den Status einer Bank, sprich: nicht in Richtung “privater Zentralbank”, hinauswachsen kann.(4) Doch abgesehen davon, dass diese Richtung der Regulierung auf geradezu absurde Art und Weise einer neuen, privaten, irgendwie an Facebook hängenden Datenkrake in die Hände spielt, sollte hinterfragt werden, ob es überhaupt sinnvoll ist, sozusagen über den Umweg der Regulierung, die Macht des Facebook-Geldes nur indirekt begrenzen zu wollen. Denn schließlich legt es das Projekt durch sein gesamtes Set-Up darauf an, langfristig über den Status einer Bank hinauszuwachsen, um zur Ebene der Zentralbanken aufzuschließen. Und sobald sich eine Chance bieten würde, dürften die Designer und Macher auch genau dies versuchen.

Facebook und die mit ihm verbundnen Organisationen werden nichts dem Zufall und der eigenen Untätigkeit überlassen. Warum sollten also wir dies tun?

  1. Als Emittentin soll die Libra-Association ihren Sitz in der Schweiz erhalten und keine Zahlungsverkehrsdaten an Facebook weitergeben. Doch die Daten werden dort anfallen und massive Begehrlichkeiten hervorrufen. Und auch wenn es nicht zu einer offiziellen Datenweitergabe kommen sollte, dürfte zumindest klar sein, dass nicht nur sämtliche größeren Geheimdienste versuchen werden, an diese Daten zu gelangen.
  2. Auf den fundamentalen Aspekt der Währungshierarchie und weshalb in der Geldhierarchie die Zentralbanken über den Banken stehen, diese wiederum anderen Marktteilnehmern in gewisser Hinsicht übergeordnet sind und wie die Geschäfte zwischen diesen Ebenen strukturiert werden, kann hier nicht näher eingegangen werden. Siehe hierzu insbesondere die Arbeiten zur Funktionsweise von Finanzmärkten von Perry Mehrling (www.perrymehrling.com/).
  3. Empirisch wird diese Beobachtung, dass das „schlechte“ Geld das „gute“ verdrängt schon seit dem 16. Jahrhundert von Gresham’s law – wenn auch in seiner ursprünglichen Fassung mit dem Schwerpunkt des Edelmetallgehaltes von Münzen – beschrieben. Die Attribute “gut” und “schlecht” sind allerdings zu relativieren, da ein wirklich “gutes” Geld eben nicht – wie gemeinhin suggeriert – in erster Linie durch hohen Metallwert oder geringe Rate an Kaufkraftverlust den Interessen der Geldhorter zu dienen hat, sondern für eine reibungslose und möglichst kontinuierliche Warenzirkulation sorgt. Unter diesem Aspekt ist ein Geld mit Kaufkraftzugewinn oder hohem Edelmetallgehalt eben nicht “gut”, sondern “schlecht”, da es die Warenzirkulation behindert.
  4. Auch wenn jetzt die oder der eine oder andere Leser/in sich für besonders gut informiert hält und meint zu wissen, die FED sei ja auch schon privat, der oder dem sei hier gesagt: Dies ist in dieser trivialen Form schlicht falsch. Die Rechtsstruktur des gesamten FED-Systems ist hybrid, d.h. eine Mischung aus öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Elementen. Abgesehen davon, dass es diese hybriden Formen in den USA häufiger (und etwas seltener bei uns) gibt, spielen die privatwirtschaftlichen Strukturen auf der Ebene der regionalen FEDs eine wichtige – wenn auch nicht die zentrale – Rolle. Aber zugleich haben die regionalen FEDs eben keine Mitbestimmungsrechte für die politischen Entscheidungen der Bundes-FED: Die politischen Entscheidungsträger der Bundes-FED – die Mitglieder des Board of Governors – werden rein durch die Politik ernannt. Zwar sitzen wiederum im zweitwichtigsten Gremium, dem Federal Open Market Committee (FOMC), die Präsidenten der Regionalen FEDs, aber erstens werden diese Präsidenten ebenfalls nicht durch die (zu überwachenden Mitglieds-)Banken ernannt und zweitens ist das FOMC auch nicht für die politischen Entscheidungen zuständig. Für die Zwangsanteile, die Banken ab einer bestimmten Größe an den regionalen FEDs halten müssen, gibt es eine üppige (feste) 6%ige Verzinsung. Die darüber hinaus anfallenden Gewinne des FED wandern wieder ausschließlich zum Treasury, dem US-Finanzministerium. Aus europäischer Sicht mag auch die hybride Form der FED die eine oder den anderen irritieren – aber letztlich ist die FED trotz der juristisch gesehen privaten Rechtsform der regionalen FEDs eine staatlich eingesetzte und kontrollierte Organisation, während die Libra-Association sich einer direkten staatlichen Steuerung und Kontrolle in der geplanten Form vollständig entziehen würde.

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