Kommentar zu Otmar Issings Artikel „Geld und Götzen“ in der FAZ vom 24.04.2015.
Am 24.4. veröffentlicht die FAZ einen umfangreichen Artikel, in dem sich Otmar Issing, Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank bis 2006 und bis vor wenigen Jahren Direktoriumsmitglied der EZB, mit der notorischen Geldfeindlichkeit auseinandersetzt, welche die europäische Geschichte seit ihren Anfängen begleitet. Issing belegt den Hass gegen Geld und das Unverständnis seiner Bedeutung für die Gesellschaft mit treffend ausgesuchten Zitaten. Vielleicht ist die Geldfeindlichkeit die größte geisteswissenschaftliche Fehlleistung des Abendlandes, das ohne dessen „Erfindung“ sich nie hätte zu dem entwickeln können, was es heute ist: das leuchtende Beispiel einer entwickelten, friedlichen und relativ satten Welt. Das freilich sehen, mit wenigen Ausnahmen, vor allem Nichteuropäer! Für europäische Bürger, besonders für Intellektuelle, gehört die Verachtung des Geldes gleichsam zu ihrer Identität. Der Hass gegen Geld hat, wie Issing richtig sieht, nicht nur dem Holocaust den Weg bereitet, sondern lag auch dem kommunistischen Experiment zu Grunde, auf dessen ideologischem Altar etwa 100 Millionen Menschen geopfert wurden. Dass dieses Ziel – die Abschaffung des Geldes – auch nicht einmal annähernd erreicht werden konnte, beweist ex negativo nur die funktionelle Unentbehrlichkeit des Geldes für die moderne Gesellschaft. Geld überlebt selbst die entschlossensten Versuche seiner Beseitigung.
Gut tut der Hass uns nicht. Wir müssten sowohl die Bedeutung des Geldes für die Mündigwerdung des Menschen verstehen als auch lernen, die Gefahren, die von diesem mächtigsten aller Instrumente der Menschheit (Georg Simmel) ausgehen, zu bändigen. Anstatt dessen drängt das Gekläff uneinsichtiger Geldfeinde die Hüter der Ordnung, oder solche, die sich dafür halten, in ein Eck, wohin sie vielleicht gar nicht hinwollen. Wenn man, wie die Ökonomik, eine so wenig gesicherte Erkenntnisgrundlage hat, muss man zumindest tun, als ob man sie hätte, um die Ordnung, die jene in Bausch und Bogen verwerfen, doch irgendwie zu schützen. Den ideologischen Angriffen folgt eine ideologische Verteidigung.
Der Wissenschaftler Issing sollte in diesem Artikel jedoch gesagt haben, dass die größte Schwachstelle der Wirtschaftswissenschaften Geld selbst ist. Hingegen beteuert er: „Für den Ökonomen ist der Fall von Grund auf ebenso klar wie einfach.“ Issing muss wissen, dass das falsch ist. Als geschulter Ökonom weiß er, dass die bestentwickeltsten Modelle der Ökonomik Modelle ohne Geld sind, und dass die Ökonomik Geld daher nicht als Voraussetzung ihres Gegenstandes, der Wirtschaft, sondern eher als störende Variable ansehen muss. Der Hinweis auf die Tausch- und Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes geht Ökonomen zwar leicht von den Lippen, aber alle Gleichgewichtskonzepte beruhen auf der Annahme, dass das Knappheitsproblem simultan und eben nicht schrittweise im Tausch gelöst würde. Geld hat in diesen Modellstrukturen jedenfalls keinen Platz, und Tausch auch nicht. (Tausch und Geld werden dann hinzuerfunden, um eine glaubhafte Story über die Modelle erzählen zu können.)
Die Folge dieser naturalistischen Konstruktionen ist die Erklärung, dass Geld neutral sei. Zieh Geld aber aus der Wirtschaft ab, sie wäre nicht mehr! Um Geld zu verstehen, müsste die ökonomische Theorie ihr Denken verändern und endlich zugeben, dass sich die Realität der Wirtschaft der Nominalität des Geldes verdankt. Wirtschaftstheorie hätte niemals zu einer Theorie der Allokation (naturaler) Ressourcen verkommen dürfen, sondern hätte sich als Theorie der Sprache der Wirtschaft (d.h. des Geldes) über knappe Ressourcen etablieren müssen. Wenn die Wirtschaftstheorie von Anfang an diesen Weg beschritten hätte, hätte sich die Menschheit den Kommunismus erspart! Die Ökonomik blieb aber, ungeachtet des Zusammenbruchs des von ihr möglich gehaltenen Sozialismus und dem peinlichen Überraschtwerden durch die Finanzkrise bei ihrem alten methodologischen Stiefel, der Geld nachträglich die Rolle eines Schmiermittels zuerkennt. Geld, der Flüssigmacher der Wirtschaft, ist in diesen Modellen „überflüssig“. Bildlich gesprochen: Wer oben steht, braucht nicht mehr zu steigen. Wirtschaft ist aber ein einziges Steigen unter dem Symbol des Geldes – und übrigens Geistes. Auch dieser fällt aus den Gleichungen der Wirtschaftstheorie heraus.
Indem man Geld nachträglich auf naturalistische Konzepte aufpfropft, wird man es nie verstehen. Der Mensch, so Georg Simmel, ist ein indirektes Wesen, und Geld sein mächtigstes Werkzeug, ohne das der moderne Mensch nicht sein kann und daher auch nicht wünschen sollte zu sein. Wie auch andere „Gebilde überpersönlicher Kultur“ ist ihm Geld zur zweiten Natur geworden, die zu seiner ersten Natur (von der man aber nicht sagen kann, worin sie eigentlich besteht, weil der Mensch seit jeher Kulturwesen ist) in Konflikt kommen kann. Marx spricht von Entfremdung und hofft – das ist sein größter Irrtum – auf deren Überwindung durch Abschaffung des Geldes; Sigmund Freud spricht davon, dass Geld kein Kinderwunsch sei. Aber die Abwesenheit von Geld ist ein kindischer Wunsch. Sollte es im 21. Jahrhundert nicht darum gehen, endlich erwachsen zu werden, d.h. mit der prometheischen Kraft, zu der uns Geld befähigt, leben zu lernen? Nein, man will nicht erwachsen werden und verhält sich so wie der Blechtrommler Oskar Matzerath in Günter Grass’s berühmtem Roman. Die Ökonomik trägt ohne Zweifel ebenfalls ein gerüttelt Maß an Schuld für die Orientierungslosigkeit der Gesellschaft.
Man muss von Glück reden, dass Wirtschafts- und Geldpolitik eher wirtschafts- als wissenschaftsgetrieben ist. Denn wenn man auf die Theorie wörtlich hörte, hätte man Geld (und auch den Markt) längst abschaffen müssen. (Die Wirtschaftstheorie gebärdet sich neoliberal, ihre Modelle sind durchwegs zentralistisch.) Die Wirtschaftspolitik ist relativ theorierobust. Man spricht viel von Neoliberalismus. Viele Neoliberale betreiben Keynesianische Politik, und bekennende Keynesianer beugen sich neoliberalen Normen. Obwohl Wirtschaft, wie Hayek betont, eine spontane gewachsene Ordnung ist, bedarf sie, das musste selbst Hayek gelegentlich zugeben, einer ständigen Gestaltung. Eine bessere Theorie würde vielleicht ein bisschen helfen.
Einer der Bausteine einer funktionierenden Bürgerordnung ist ein stabiler Geldwert. Geld ist heute frei schöpfbar, kann daher in beliebiger Menge hergestellt werden. Eine permanente Geldüberflutung ist mit einer Marktwirtschaft nicht kompatibel. Alle Waren tauschen sich gegen beliebig schöpfbares Geld aus, daher muss diese zentrale Ware knapp gehalten werden. Das ist die Funktion von Zentralbanken. Leider haben sie diese schleichend – inzwischen wird 80-90% der Geldmenge (M1) von Geschäftsbanken erzeugt – an diese abgegeben. Die Geldmenge wird heute also nur zum geringen Teil vom Souverän bereitgestellt; der große Rest durch Geschäftsbanken via Kreditvergabe von Giralgeld, das zum hauptsächlichen Zahlungsmittel aufgerückt ist. Der wichtigste Einwand: es verletzt den Grundsatz, dass private Subjekte Geld durch verkäufliche Leistungen an andere verdienen müssen. Nur der Souverän darf Geld „machen“. Im fraktionalen Geldsystem aber stellen Geschäftsbanken Geld und damit öffentliche Kaufkraft selbst her. Das fraktionale Geldsystem verletzt also nicht nur den Gleichheitsgrundsatz, es verstärkt Booms und Busts, welche die öffentlichen Hände, die Zentralbanken mit eingeschlossen, in Geiselhaft nehmen.
Die Nachteile des fraktionalen Geldsystems werden auch durch das Verbot der direkten Staatsfinanzierung verstärkt. Hierdurch sind die Staaten verpflichtet, ihre Defizite ausschließlich über das Bankensystem zu finanzieren. Der Gedanke dahinter ist, dass die Finanzmärkte den Staat disziplinieren sollen. Tatsächlich aber führt(e) die systemisch fehlende Disziplin des Banken- und Finanzsystems zur Finanzkrise und zur Zerrüttung der Staatsfinanzen. (Die Bankenbilanzen sind in wenigen Jahren auf ein Vielfaches des Sozialproduktes angewachsen). Das fraktionale Geldsystem erzeugt eine gefährliche Ko-Abhängigkeit von Banken und Staat. Die Steuerung der Gesamtgeldmenge über den Mindestreservesatz und andere zentralbankpolitischen Instrumente ist ohnehin eine Illusion. Um dem politischen Missbrauch der Geldschöpfung durch eine Zentralbank vorzubeugen, muss natürlich deren absolute Unabhängigkeit gewährleistet sein.
Abhilfe ist dringend durch die Einführung eines Vollgeldsystems geboten, durch welches das jetzige „fraktionale“ Geldsystem überwunden würde. Das Vollgeldsystem würde so funktionieren, wie die Öffentlichkeit glaubt, dass das Geldsystem funktioniert: Die Zentralbank generiert Geld und bringt es in Umlauf. Die Geschäftsbanken sammeln Geld von Haushalten ein und verleihen es an die Wirtschaft. Differenzen zwischen Ein- und Auszahlungen würden über das Interbankensystem ausgeglichen werden. Ein entscheidender Vorteil des Vollgeldsystems bestünde darin, dass der Staat im Umfang geldpolitischer Ziele direkt von der Zentralbank finanziert werden dürfte – im jetzigen System ein Tabu. Die Seignorage käme in vollem Umfang der öffentlichen Hand zu Gute. Dadurch würde ein Teil des geschöpften Geldes nicht zinsbelastet sein. Außerdem sollte eine präzisere Inflationssteuerung möglich sein. Es ist auch anzunehmen, dass die Kontrolle der Geschäftsbanken viel leichter sein würde als im jetzigen System. Die Geschäftsbanken blieben wie bisher natürlich unabhängig.
Wenn man sich, wie Issing es tut, entschieden gegen die Feinde des Geldes absetzt, muss man nicht gleich auch die Ansicht vertreten, dass eine Inflationsrate nahe Null in jedem Fall besser als, sagen wir, 3-5% ist. Die Idee der Abschaffung des Geldes, gegen die Issing zu Recht wettert, und Inflation sind inkommensurable Begriffe. Abschaffung des Geldes heißt Abschaffung der Zivilisation. Darin stimme ich Issing vollinhaltlich zu. Selbst die Hyperinflation war „nur“ ein schweres Trauma für die zivile Gesellschaft, nicht deren Beseitigung. Eine Inflation von 20% würde man im Vergleich zu einer Abschaffung gar nicht merken. Die Angst vor dem einen soll nicht zu einer Stabilitätshysterie verführen. Mit der Geldwertstabilität kann man es auch übertreiben. Zentralbanken haben in ihrer Fixierung auf den Geldwert systemische Risiken völlig übersehen. Während sie auf den Geldwert oder die Geldmenge achteten, bauten sich Vermögens- und diesen entsprechende Schuldentürme auf, welche die Gesellschaft eindeutig überfordern – die Geldmengenaggregate stiegen zugleich kaum auffällig. Eine Vollgeldreform sollte diese hypertrophischen Entwicklungen der Schulden und Forderungen unterbinden helfen. Man soll auch nicht von einer bei Null liegenden Inflationsrate Stabilität in der Währungsunion erwarten. Eine zu niedrige Inflationsrate in Deutschland zwingt die südlichen Nachbarn zu einer Realabwertung und schickt sie damit in die Depression. Strikte Geldwertstabilität heißt noch lange nicht Systemstabilität.
Issing schließt mit dem Satz: Der Dämon liegt nicht im Geld, er steckt in den Menschen selbst. Gewiss, der Einzelne (bourgeois) muss schon Verantwortung für den persönlichen Umgang mit Geld übernehmen. Aber das „Kollektiv“ (citoyen) sollte für eine vernünftigere und der Sache angemessene Geldordnung sorgen.