Einschätzung und Lösungsvorschläge zu Griechenland

Autor: Prof. Dr. Dr. Helge Peukert

Die Vereinbarungen der griechischen Regierung mit der Ex-Troika sind eine Katastrophe für alle Beteiligte, v.a. aber für Griechenland und das aktuelle Leid vieler Griechen und die bisherige soziale Schieflage des Ausbadens der Krisenkosten kaum berücksichtigt wurden. Zukünftig müssen alle haushaltsrelevanten griechischen Gesetze zuvor der Ex-Troika vorgelegt werden, so dass die Griechen sich überlegen können, ob sie eine Kolonie oder ein Protektorat sind. Tarifverträge werden weitgehend abgeschafft, Massenentlassungen ermöglicht und die Mehrwertsteuer auch in für den Tourismus relevanten Bereichen erhöht, was die wirtschaftliche Erholung beeinträchtigt. Der Privatisierungsfonds soll 50 Mrd. Euro einbringen, weniger als die Hälfte dürfte realistisch sein. Das Tafelsilber in einem Batzen auf den Tisch zu werfen und schnellstmöglich Erlöse eintreiben zu wollen, dürfte zu einem billigen Ausverkauf griechischen Staatsvermögens in den Bereichen Häfen, Wasserwerke usw. führen, die dann als zukünftige Einnahmequellen ausfallen. Der Verkauf des griechischen Wettanbieters bietet den neuen Besitzern rund 700 Mio. Euro pro Jahr, die dem Staat jetzt fehlen. Die economic hit men werden sich freuen. Die von einigen Linken und kritischen Ökonomen geäußerte Hoffnung, dass aus den Privatisierungserlösen auch ein gewisser Teil in Investitionen fließen sollte und der Hinweis, es seien auch andere Wege außer dem Verkauf (z.B. Konzessionsmodelle) denkbar, und daher hätte der Fonds doch auch seine guten Seiten, kann man angesichts des zu erwartenden Abverkaufs nicht teilen (der Verkauf eines spanischen Regionalflughafens erlöste jüngst 10.000 Euro).

Warum hat Tsipras sich auf die Quasi-Nötigung aber eingelassen, wohl wissend, dass ein großer Teil seiner Partei dem nicht zustimmt? Zunächst ist klar, dass er sich entscheiden konnte, sich vom Bären auffressen zu lassen oder über die Klippe zu springen. So sahen die schlechten Alternativen (Grexit oder Memorandum) aus, da niemand ein Interesse an seinem Erfolg hatte: weder die konservative portugiesische Regierung, noch die spanische, der Podemos und Cuidadanos bei den baldigen Wahlen ansonsten noch mehr zusetzen würden. Die deutsche GroKo schon gar nicht, die weitere Verbindlichkeiten mit Blick auf das auch von den einseitigen Medien eingenordeten deutschen Michel verhindern wollte. Frankreich und Italien schlugen sich aus ähnlichen Gründen wie Spanien nicht auf Tsipras Seite und moderierten den Nichtausstieg aus dem Euro, da sie fürchteten, dass dann zu erwartende Spekulation auch ihr Land treffen könnte und zumindest die Zinsen für ihre Staatsanleihen angesichts einer Gesamtstaatsschuld., die sich auf 100 Prozent zubewegt. Angesichts dieser Zahl erschien ihnen sicher überhaupt ein weiterer Einstieg in den ESM-Rettungsschirm und Elemente einer Fiskalunion durch den Griechenland-Deal in eigener Sache (man braucht vielleicht selbst einmal Gelder aus dem Fonds) gar nicht schlecht. Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Gelder aus dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) eigentlich gar nicht an Griechenland gehen dürften, da er laut Gesetz nur angezapft werden darf, wenn auch die Finanzstabilität des ganzen Eurowährungsgebietes in Gefahr ist. Die auch als Druckmittel gedachten Aussagen vieler Nordlichter, v.a. Schäubles mit seinem Grexit-Vorschlag, lauteten allerdings, dass Griechenland überhaupt keine Gefahr mehr für die Eurozone bedeuteten. Diese Behauptung ist richtig, nicht zuletzt, weil die Politikdarsteller in den letzten Jahren dafür sorgten, dass die privaten Gläubiger Griechenlands durch die tiefen Taschen des öffentlichen Steuerzahlers (EZB, EFSF-Rettungsschirm usw.) ersetzt wurden. Der ESM darf also gar nicht mit zunächst wohl 68 Mrd. Euro belastet werden, auch handelt es sich um eine Karussellfahrt: Athen zahlt fällige Schulden an diejenigen, die ihnen dieses gerade wieder neu vorstrecken.

Tsipras kapitulierte vor dieser Einheitsfront, da man sich dagegen entschied, mit einem Plan B (Ausstieg aus der Eurozone) zu drohen, da man im Einklang mit der Mehrheitsmeinung der Griechen einen (sei es auch nur temporären) Ausstieg aus der Eurozone für die größere Katastrophe hielt. Es ist unwahrscheinlich, dass es – wie Norbert Häring vermutet – eine Art Geheimabkommen gibt, das auf einen geordneten Grexit hinausläuft. Man konnte Tsipras ungehindert in die Enge treiben, da man wusste, dass der Verbleib im Euro oberste Priorität hatte. Insgesamt passt die gefundene Variante in das Programm eines vom europäischen Politikestablishment favorisierten technokratisch-autoritären Postliberalismus, der sich in Hollandes Vorschlag einer Wirtschaftsregierung, dem 5-Präsidentenbericht usw. ausdrückt: Wirtschaftsexperten, u.a. der EZB, der EU-Kommission bis hin zu einem europäischen Finanzminister ventilieren relevante wirtschaftspolitische Vorschläge u.a. der Parlamente vor, ihre Agenda ist eine neoliberal-angebotsorientierte, die auf flexibilisierte Arbeitsmärkte usw. setzt. Sie ist postliberal, da sie sich zurzeit mit einem Schuldensozialismus und einer monetären Zentralverwaltungswirtschaft kombiniert, in der Zinsen im Minusbereich, Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB, von ihr ausgesprochene Verlustausgleiche (OMT-Programm usw.) eine große Rolle spielen. Wir haben hier ein Bündnis zwischen EZB, der Finanzgroßwirtschaft, dem Politestablishment und den Wohlhabenden und Vermögenden zu tun, die alle ein Ausklingen der Superblase der letzten Jahrzehnte vermeiden und die Kosten (der bisherigen Insolvenzverschleppung) einseitig den arbeitenden und steuerzahlenden Durchschnittsverdienern aufzubürden versuchen. Man kann es (in Anlehnung an Thomas Mayers Begriff) als „Schattenstaat“ bezeichnen.

Natürlich ist daher das Arrangement mit Griechenland einfach ungerecht, da z.B. der Vorschlag einer Sondersteuer auf Gewinne über 500000 Euro, die z.B. bei ausländischen Ketten im Tourismus (TUI) anfallen, aus konjunkturschädlichen Gründen vom Tisch sind, nicht aber die Mehrwertsteuererhöhungen. Erstaunlich ist v.a., wie unrealistisch die Vereinbarungen sind. Vor wenigen Wochen sollte der Hilfskredit für die nächsten drei Jahre etwas über 20 Mrd. Euro betragen, in kürzester Zeit wurden dann 50, 86 und jetzt sogar 100 Mrd. Euro nach dem Fast-Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft veranschlagt. Der IWF, der mit der auf ihre Wiederwahl orientierten Mme Lagarde nicht immer tiefer in die Finanzierung hineingezogen werden möchte, sprach die Wahrheit aus: selbst wenn die vorgesehene Maßnahmen alle erfolgreich umgesetzt werden sollten und die optimistischen Annahmen zuträfen (höchste Produktivitätssteigerungen in Griechenland im Vergleich zu anderen Euroländern in der nahen Zukunft), würde die Verschuldung des Landes auf 200 Prozent steigen. Die Vorschläge der Ex-Troika werden vom IWF im Grunde als Illusionsakrobatik angesehen, da es ohne massive Fiskaltransfers, einen Schuldenschnitt oder eine Umschuldung nicht funktionieren kann, d.h. das Land wieder auf die Beine kommt. Ein solches Schuldenmoratorium müsste sehr weitreichend sein. Die Rück- und Zinszahlungen (neben dem Aussetzen der laufenden Verpflichtungen, die über 25 Mrd. Euro alleine im Jahr 2015 liegen), die 2023 beginnen, müssten um weitere 30 Jahre verlängert werden, also erst im Jahr 2053 beginnen! Finanzexperten haben nachgerechnet, dass Justin Bieber dann bereits im 60. Lebensjahr sein wird.
Nach Analyse von NEUE GELDORDNUNG führt darran nichts vorbei. Den Griechen muss der Rücken frei gehalten werden, um sich zu berappeln. Im Gegenzug gibt es kein neues Stützungsgeld in diesem Zeitraum. Die Ex-Troika sollte auf jegliche Vorschriften verzichten, d.h. keine Memoranda über Mehrwertsteuererhöhungen, Privatisierungen usw. Wichtig sind hier auch die psychologischen Aspekte: Die Menschen sollten nicht das Gefühl haben, erpresst worden zu sein, sondern es wird ihnen mitgeteilt, dass sie selber demokratisch entscheiden sollen, wie das Land zu reformieren ist. Auch kann dann die EU nicht mehr als Sündenbock herhalten, der für Angleichung der Lebensverhältnisse an die Produktionsbedingungen des Landes verantwortlich ist. Eine solche Regelung wäre auch für die 18 anderen Euroländer gut, da sie nicht das ansonsten sicher bald fällige 4. (Gläubiger)Rettungsprogramm auflegen und z.B. im deutschen Bundestag legitimieren müssten.

Natürlich ist es eine z.B. von slowakischer und baltischer Seite oft vorgebrachte Ungerechtigkeit, den Griechen durch den zeitlichen Aufschub Geld zu erlassen (die Inflation wird auf diese vielen Jahre die reale Rückzahlungssumme mehr als halbieren), aber Griechenland hat bereits eine hohe Anpassungslast u.a. durch Renten- und Lohnkürzungen gezahlt. Auch könnte man die Umschuldung kostengünstig für die Gläubigerländer gestalten, indem die EZB die Schulden aufkauft und entsprechend umwandelt, ohne Verluste in ihre Bilanz stellen zu müssen (zero coupon perpetual bonds). Um Nachahmereffekte zu vermeiden, müsste man sich Gedanken über eine regelgebundene Staateninsolvenzverordnung machen. Im Zweifelsfall fahren dann die Käufer von Staatsanleihen Verluste ein. Eine solche Regel muss nicht den Weg in die Knechtschaft der Finanzmärkte bedeuten, da die Länder ja die Konsequenz ziehen können, das Kapital angemessen zu besteuern (Piketty-Forderung). Das geht nur, wenn man europaweit eine Mindestbesteuerung einführt.

Griechenland bliebe in der EU, es kann auf die Mittel der Strukturfonds zurückgreifen. Hier könnte man eine gewisse Konditionalität einführen: Weniger für Straßenbau, mehr für die Förderung regenerativer Energiequellen. Debt for Nature könnte auch bedeuten, dass sich Griechenland verpflichtet, vernünftige, bis heute nicht vorhandene Mülldeponien besonders auf den Inseln zu errichten und das Öl und Gas im Mittelmeer nicht zu fördern, anders als Spanien, das vor den Kanarischen Inseln mit den Tiefseebohrungen beginnt.

Griechenland sollte auch nicht verpflichtet werden, einen Haushaltsüberschuss erzielen zu müssen. Vielleicht bedarf es erst einmal auch einer finanziellen Initialzündung. Diese sollte nicht aus extern geliehenem Geld bestehen, sondern könnte durch Volksanleihen finanziert werden. Die Bürger haben Euro gehortet, das sie dem Staat über Anleihen zur Verfügung stellt. Sollte Griechenland doch noch aus dem Euro austreten müssen bzw. der Staat könnte die Anleihen nicht in Euro zurückzahlen, so würde er sich verpflichten, den Gegenwert in Geuro (neuer Drachme) zurückzuzahlen. Sollte eine Drachme 50 Eurocent wert sein, würde im Verhältnis 1:2 ohne Verluste für den Anleihekäufer gewechselt, am besten noch inflationsindexiert und einem Prozent Zins. Sollte dies nicht reichen, könnte die griechische Regierung IOUs einführen, d.h. Schuldscheine, mit denen sie ihre Beschäftigten, Lieferanten usw. bezahlt. Das wäre eine temporäre Parallelwährung, über deren Einführung und Dosierung die Griechen selbst zu entscheiden hätten. Kommt man ohne diese Maßnahmen mit einem ausgeglichen Haushalt hin ist es gut, falls nicht, gibt man Schuldscheine aus. Heute kann realistischer Weise niemand sagen, was erforderlich sein wird. Eine breit eingeführte Parallelwährung hätte positive Nebeneffekte: die Tomaten aus Holland würden sehr teuer bei einer deutlichen Abwertung der Schuldscheine gegenüber dem Euro, die Tomatenproduktion in Griechenland würde einsetzen. Es käme also zur Importsubstitution bzw. es hätte den Effekt, den man sich von Regiogeld erhofft. Die von einigen Austrittsbefürwortern behaupteten Entlastungseffekte bei einem Austritt Griechenlands aus dem Euro sind allerdings Hirngespinste. Eine Abwertung wäre kein leichterer Weg zur Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu weiter nötigen Lohnsenkungen bei Verbleib im Euro, wie v.a. H.-W. Sinn behauptet, da der hohe Importgrad zu einer Inflation im Land führen dürfte, die den Abwertungseffekt auffrisst. Auch bedürfte es nicht unbedingt der Einführung einer Parallelwährung, um die Handelsbilanz zu beeinflussen und Importsubstitution zu beflügeln. Alternativ könnte man den Griechen (entgegen den zurzeit bestehenden Regelungen) erlauben, für einige Zeit Importzölle auch auf EU-Produkte zu erheben, um Einnahmen etwa als Ersatz zu den Mehrwertsteuererhöhungen zu generieren und Eigenproduktion anzuregen.

Grundsätzlich ist Griechenland die Spitze eines Eisberges und nicht ein Ausnahmefall. Die mal privaten, mal staatlichen Schuldenberge steigen in den meisten Euroländern, auch andere Länder leiden unter legaler Steuervermeidung usw. Am Beispiel der ELA-Kredite an Griechenland (die durch die EZB zu neutralisieren wären, womit die griechischen Banken wieder solvent wären) zeigt sich, dass grundlegendere Probleme der Geld- und Finanzordnung zu lösen sind. Die Griechen haben Geld auf ihren Giro- und Sparkonten, das sie abheben. Das dürfte an sich kein Problem sein. Merkwürdigerweise besteht aber hier eine Abhängigkeit des Zahlungsverkehrs von EZB-Krediten, die in letzter Instanz bei Insolvenz eventuell von den anderen Euroländern abzuschreiben sind. Ohne dies hier näher erklären zu können, hängt dies mit dem fraktionellen Reservesystem zusammen, d.h. dem Geldschöpfungsprivileg der Banken, die Giralgeld schöpfen, aber z.B. keine Banknoten drucken dürfen. Das führt dann zu Problemen, wenn ein hoher Bargeldabzug stattfindet. Hierdurch wird die EZB zwangsläufig zum politischen Akteur. Macht die die Geldzufuhr über den Notversorgungskanal ELA zu, drängt sie ein Land aus dem Euro. Lässt sie das Fenster offen, fördert sie Fluchtgeld. Die Ökonomen sind gespalten, was die EZB rechtmäßig tun soll (siehe die Debatte zwischen Hellwig und Sinn und Fuest im Handelsblatt.) In einem Vollgeldsystem würde das Problem (von einer de facto nicht einlösbaren Einlagensicherung ganz abgesehen) nicht bestehen, da die Banken nicht so viel Geld, das zur Finanz- und Eurokrise mit beitrug, hätten schöpfen können und weil es nur Zentralbankgeld gäbe, das die Kontoinhaber abheben können (zum Vollgeldkonzept siehe monetative.de), ohne auf EZB-Kredite angewiesen zu sein. Auf der elementarsten Ebene liegt vieles im Argen, wir brauchen eine Neue Geldordnung! Auf der Oberfläche brodelt es in Griechenland, doch tief unten in den Basalstrukturen des Geld- und Finanzsystems werden die Lavamassen heißgekocht, die dann an verschiedensten Stellen nach oben schießen.

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