Buch: Die Idee mit dem Gemeinwohl war gut


Ein bemerkenswertes Fazit zieht die FAZ vom 22.01.2019 über ein Buch:

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  • „Das Aus der Neuen Heimat, ging mit einem grundsätzlichen Legitimationsverlust gemeinwohlorientierter Wirtschaftsregulierung einher, der auch die Sozialdemokratie in eine Krise stürzte“
  • „die Politik vertraut seither auf die Selbstregulierung des Marktes – auch und gerade im Wohnungsbau“
  • „inzwischen zeigt sich, dass der liberalisierte Markt eher das Problem als die Lösung ist“
  • „wieder Akteure mit heiklen Ambitionen hervorgebracht hat….. Vonovia…..Googles oder Microsofts Smart City-Ambitionen….“

Im folgenden der komplette Artikel:

Bauen im sozialdemokratischen Zeitalter: Michael Mönninger zeigt, wie der gewerkschaftseigene Wohnungsbaukonzern „Neue Heimat“ wuchs und zerbrach – und welche Folgen das bis heute hat.

Die Entstehung des größten Wohnungsunternehmens Europas im Herbst 2017 war der Wirtschaftspresse lediglich eine Meldung wert. Damals schloss der börsennotierte deutsche Immobilienkonzern Vonovia einen Partnerschaftsvertrag mit der staatlichen Vermietungsgesellschaft Groupe SNI aus Frankreich; zusammen verfügen beide über mehr als 700 000 Wohnungen. Ein historischer Rekord, zumindest in Europa. Für Michael Mönninger, Professor für Architekturgeschichte in Braunschweig und Autor dieser Zeitung, bot die Transaktion Anlass genug, ein vergessenes oder verdrängtes Kapitel bundesdeutscher Wohnungsbauhistorie noch einmal aufzuschlagen: die Geschichte der „Neuen Heimat“.

Zur Erinnerung: Aus einem 1926 gegründeten gemeinnützigen Hamburger Wohnungsbauunternehmen, das während der Zeit des Nationalsozialismus zur Deutschen Arbeitsfront gehörte, ging nach seiner Neugründung 1950 die „größte Wohnungsbaugesellschaft der nicht-kommunistischen Welt“ hervor. Nach wie vor dem Gemeinwohl verpflichtet, stieg die im Besitz des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) befindliche „Neue Heimat“ in der Bundesrepublik zu einem gigantischen Städte- und Wohnungsbaukonzern auf, der über einen Bestand von mehr als einer halben Million Wohnungen verfügte und sich darüber hinaus mit Tochterunternehmen an Großprojekte im In- und Ausland wagte.

Das so expansive wie undurchschaubare Firmengeflecht scheiterte schließlich in seiner Doppelbelichtung als gemeinwohlorientiertes Unternehmen einerseits und Marktteilnehmer andererseits: Da die „Neue Heimat“ qua Gemeinnützigkeitsgesetz nicht mehr als vier Prozent Rendite erwirtschaften durfte und sämtliche darüber hinausgehenden Überschüsse in den Neubau investieren musste, konnte das Unternehmen irgendwann die hohen Zinsen für seine irrwitzigen Bankkredite nicht mehr bedienen und ging 1986 mangels Kapital schlichtweg pleite.

Und als hätte das krachende ökonomisches Ende nicht genügt, wurde kurz vorher auch noch die Unternehmensleitung der Korruption und Selbstbereicherung im großen Stil überführt.

Michael Mönninger interessiert sich jedoch weniger für die wirtschaftshistorischen oder kriminalistischen Aspekte von Aufstieg und Niedergang der „Neuen Heimat“, sondern nimmt „die politischen, soziologischen und vor allem kulturellen Entstehungsbedingungen, Strategien und Auswirkungen dieses Unternehmens im Neuaufbau der Bundesrepublik“ in den Blick. Dafür exhumiert er die von 1954 bis 1981 erschienenen „Neue Heimat Monatshefte für neuzeitlichen Wohnungsbau“, ein insgesamt mehr als 22 000 Seiten umfassendes Archiv, das er mit analytisch-hermeneutischem Besteck und einem informierten Interesse an den Wechselwirkungen des Sendungsbewusstseins der verantwortlichen Akteure und den politisch-ökonomischen Produktionsbedingungen des modernen Wohnungs- und Städtebaus der Nachkriegszeit seziert.

Mönninger bekommt die schiere Fülle des Materials über eine systematische Analyse des Überbaus – Selbstdarstellung, Leitbilder, Utopien – sowie eine kritische Bestandsaufnahme des „Neue Heimat“-Wirkens in Sachen Großsiedlungen, Großbauten und Innenstadt überzeugend in den Griff. Dass er seine Leserschaft nicht unvorbereitet den mitunter schwergängigen Originalbeiträgen aussetzt, sondern deren Lektüre mit der zeitdiagnostischen Einordnung der jeweils tragenden Ideen und Paradigmen vorbereitet, spiegelt sich auch im Aufbau des Kompendiums. Analyse und Kommentar mit ausführlichen Verweisen nimmt der kompakte erste Teil des Buches praktisch vorweg; der zweite, umfangreichere Teil umfasst die Auswahl der rund achtzig Quellentexte aus den Monatsheften, in ungekürzter Form und damaliger Rechtschreibung.

Der kühle Forensiker Mönninger hat mit diesem Buch, wenn man so will, auch eine Pathologie der sozialen Aufgabe Wohnungs- und Städtebau vorgelegt. Er dokumentiert zum einen die paradigmatischen Korrekturen und Kurswechsel innerhalb der planerischen Disziplinen selbst, zum anderen kann er diese Entwicklungen immer an die Zeitläufte rückkoppeln. Indem er die Unternehmenskarriere der „Neuen Heimat“ mit den reich bebilderten und typographisch aufwendig publizierten Ambitionen und Versprechungen ihrer Lenker kurzschließt, legt er nebenbei die Verführungen von scheinbar nie versiegenden Geldquellen und großer politischer Einflussnahme offen.

Der von 1972 bis 1974 amtierende Bundesbauminister Hans-Jochen Vogel klagte damals, sein Ministerium würde von der Neuen Heimat „wie eine nachgeordnete Dienststelle“ behandelt. Im Grunde hatte der SPD-Politiker das Verhältnis des Gewerkschaftsunternehmens zur Politik damit präzise erfasst; denn diese hatte im Verständnis der selbstbewussten Konzernlenker nur die Aufgabe, dem gemeinnützigen Geschäftszweck der „Neuen Heimat“ möglichst günstige Rahmenbedingungen zu verschaffen. Ihr Wachstum zu einem „universellen Systemanbieter großtechnischer Baulösungen“ war gebunden an die weithin geteilten sozialtechnologischen Glaubenssätze der Moderne, mithin die wissenschaftlich beglaubigte Planbarkeit lebenswerter und schöner Städte für eine demokratische und gerechte Gesellschaft.

Der paternalistische Wohlfahrtsstaat Bundesrepublik, der sich in Fragen sozialer Wohltaten in dauerhafter Konkurrenz mit der sozialistischen DDR sah, wusste die Wohnungsfrage bei der „Neuen Heimat“ jedenfalls in guten Händen. Vom moralischen Kredit einer dem Gemeinwohl verpflichteten Institution zehrte der Konzern auch noch, als er 1972 mit der Errichtung eines Kongresszentrums in Monte Carlo begann, Luxushotels und Spielcasinos plante und sich über Auslandsbeteiligungen auch auf Immobilienmärkten in Übersee tummelte. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“, tönte „Neue Heimat“-Geschäftsführer Albert Vietor. Die deutschen Kommunen orderten außerdem Großkliniken, Einkaufszentren, Freizeiteinrichtungen oder neue Innenstadtquartiere.

Es gibt mutmaßlich kein Projekt, das die Fortschritts-Hybris der fetten Jahre, den technokratischen Machbarkeitswahn und den ökonomischen Kontrollverlust eines wachstumsverwöhnten Gemeinwesens sinnfälliger verkörpert als das von 1968 bis 1979 durch die „Neuen Heimat“ errichtete Internationale Congress Centrum (ICC) Berlin. Hatte schon der Bau mit über einer Milliarde Mark mehr als das Dreifache der ursprünglich angesetzten Kosten verschlungen, vermeldete das Monatsheft Nummer 3 des Jahres 1979, das anlässlich der Eröffnung als ICC-Special erschien, dass der Betrieb der „Mehrzweckhalle mit 4000 Plätzen“ , vorsichtig geschätzt, jährliche Zuschüsse in Höhe von 28 Millionen Mark erfordern würde.

Obwohl das Bauwerk inzwischen stillgelegt wurde, widmet Mönninger dem ICC ein besonderes Augenmerk – als Manifestation der Planungs- und Baukultur des sozialdemokratischen Zeitalters. Er lässt sich dabei weder zu abschätziger Bewertung noch Ridikülisierung hinreißen, auch wenn beispielsweise die detailbesessene Beschreibung des technisch hochgerüsteten Kongress-Sitzes als „Heimatpunkt“ durchaus loriothafte Qualitäten entfaltet.

Doch seine Dokumentation bliebe eine akademische Fleißarbeit, wiese sie nicht auf die offenen Fragen einer Gegenwart hin, die gerade erkennen muss, dass sie sich mit der konsequenten Abkehr von einer „Vergesellschaftung der Daseinsvorsorge“ neue Probleme eingehandelt hat. Denn das skandalumwitterte Aus der „Neuen Heimat“ ging mit einem grundsätzlichen Legitimationsverlust gemeinwohlorientierter Wirtschaftsregulierung einher, der auch die Sozialdemokratie in eine Krise stürzte. Die Politik vertraut seither auf die Selbstregulierung des Marktes – auch und gerade im Wohnungsbau.

Inzwischen zeigt sich, dass der liberalisierte Markt eher das Problem als die Lösung der aktuell drängenden Wohnungsfrage ist und außerdem Akteure hervorgebracht hat, bei denen Mönninger wieder „heikle Ambitionen als umfassende Systemanbieter“ erkennt. Ob Vonovia mit seinem anschwellenden Portfolio oder die neuen städtebaulichen Smart-City-Ambitionen geldsatter Technologiekonzerne wie Google oder Microsoft – für das Verständnis der Politischen Ökonomie eines weitgehend entsicherten Immobilien- und Wohnungsmarkts liefert Mönningers aufklärerische Materialsammlung viele Einsichten. CORNELIA DÖRRIES

Michael Mönninger: „Neue Heime als Grundzellen eines gesunden Staates“. Städte- und Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne. Die Konzernzeitschrift Neue Heimat Monatshefte 1954–1981. DOM publishers, Berlin 2018. 480 S., Abb., br., 48,–Euro .

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